A room with…a cabin

Date January 6, 2005 | Map

Na gut, ich muss etwas revidieren: Der Blick vom Basement von meiner temporären Initial-Bleibe ist keineswegs ein Grund für Selbstmord. Sonst hätte ich mich spätestens jetzt umgebracht. Nicht wegen der Übergangswohnung, nein, wegen meinem Dauerdomizil, dass ich nun endlich bezogen habe: Cooper’s Court, klingt schon jetzt wie ein Fluch.

Nach einem äußerst positivem echten ersten Arbeitstag noch voller guten Mutes schwang ich mich samt Gepäck in die Tube mit zwiespältigen Erwartungen. Erwartungen sind schon irgendwie witzig: Eigentlich sollte man aus Erfahrung wissen, dass die Realität meistens völlig anders, nicht unbedingt schlechter oder besser ist als das, was man sich vorgestellt hat. Trotzdem entwickelt sich eine echte Erwartung, so, als würde das Gehirn keine bildlose Leere zulassen. So sehr man sich anstrengt, irgendein Bild kreiert man sich. Das biblische Gebot, sich kein Bild von Gott zu machen, ist schlichtweg unmenschlich.

Das Gebiet unmittelbar am Tube-Ausgang der Station Mile End entspricht noch am ehesten dem Bild, das ich mir dank der Luftaufnahmen von streetmap.co.uk gemacht habe. Wirkt nur alles etwas breiter, vom Platz her großzügiger. Und die stark befahrenen Straßen sieht man von oben auch nicht. Das heißt, man sieht nicht, dass sie stark befahren sind, wobei man das alleine aufgrund der Breite hätte einschätzen können. Die Maplin Street, in der Cooper’s Court liegen soll, wirkt von unten jedenfalls deutlich heruntergekommener als von oben. Zumindest das, was ich für die Maplin Street hielt, denn es war weit und breit kein Straßenschild zu erkennen.

Es war die Maplin Street. Und wieder einmal sah ich den Beweis, dass ein geschickter Blickwinkel des Fotografen die Realität doch deutlich verfremden kann. Zugegeben, wirklich hässlich ist Cooper’s Court nicht, zumindest nicht von außen – dafür aber das Gebäude gegenüber. Hier war sie endlich, die Sozialbauromantik! Immerhin ließen die Erbauer viel Platz für Fenster, und sie ziegelten die Häuser, anstatt einfach Beton hinzuklotzen. So wirkt die Szenerie nicht ganz so bedrohlich wie deren deutsche Entsprechung. Schön ist trotzdem anders.

Nach etwa einer halben Stunde krampfhaftem Suchen, Zugangskarten sortieren, Schlüssel vergleichen, Computereingaben vollziehen, zeigte mir der Resident Warden endlich mein Zimmer: Flat C, Room 5. Die Flats sind zum Treppenhaus mit einer Haustür abgetrennt, hinter der sich ein Flur verbirgt, der links und rechts zu den fünf Zimmern führt, die sich eine gemeinsame Küche mit Common Room teilen, die am Kopfende des Flures liegen. Mein Zimmer ist das genau neben dem Common Room. Ob das laut wird? Wie werden wohl die Nachbarn sein? Und wie ist nun endlich das Zimmer?

Funktional. Das einzig passende Adjektiv: Das Zimmer ist funktional. Nicht mehr, nicht weniger, schlichtweg funktional. Leere Zimmer wirken immer etwas trist, doch hier sah man sofort, dass jeglicher überflüssiger Luxus fehlte. Aber was man brauchte, war da. Ein Schreibtisch, ein Stuhl, ein Wandregal, ein Bett, ein Schrank. Und das Bad. Ja, das Bad. Mein eigenes, privates Bad im Studentenwohnheim.

Noch nie habe ich ein so kleines Bad gesehen! Und das will etwas heißen, ich erinnere mich noch sehr gut an das Gästeklo meiner Oma, das ungefähr die Größe einer Speisekammer hatte. Einer kleinen Speisekammer. Mein jetziges Bad war immerhin etwas größer. Aber das Speisekammer-Klo meiner Oma hatte ja auch keine Dusche.

Auf einer Zimmerfläche von ca. 4 mal 2,5 Metern haben die Erbauer tatsächlich noch in einer Ecke ein Bad untergebracht. Und was für eins! Boden, Decke, Wände, alles weiß. Gut, das ist für ein Badezimmer nicht unüblich, aber das hier war wie aus einem Guss, nein, es war aus einem Guss, wahrscheinlich Plastik-Spritzguss. Es wirkte wie ein Fertigbad, das sich genau so auch hätte in einem Campmobil befinden können und das man, nachdem es fertig gegossen war, gerade so durch alle Türen direkt in die Zimmerecke schieben konnte, was man wohl auch gemacht hat – nachdem das Gebäude bereits ausgebaut war! Trotzdem war alles drin: Links das Waschbecken, geradeaus – also direkt hinter der Tür, die zum Glück nach Außen aufging – die Kloschüssel, rechts die Dusche. Muss einfach zu reinigen sein, das wird beim Duschen sozusagen gleich mit erledigt. Einfach nicht den Vorhang zuziehen und die Brause einmal rundum strahlen lassen – fertig. Das Wasser läuft dann sowieso über den Duschabfluss ab, das geht gar nicht anders, denn der Boden ist schräg. Lediglich die Rolle Toilettenpapier sollte man vorher vom Halter nehmen, denn ich glaube nicht, dass einfaches, britisches Klopapier durch Bewässerung zu Hakle Feucht wird, sondern eher zu Pappmaché. Was das Bad jedenfalls anbelangt, muss ich zugeben: Ich bin beeindruckt!

Auf etwas hätte man im Bad aber verzichten können, das fiel mir aber erst beim ersten Toilettengang auf. Es fiel mir auf den Kopf, genauer gesagt. Jetzt fand ich die Erklärung für die graue Verfärbung in der Kloschüssel an einer Stelle, die für Verfärbungen nun äußerst untypisch war. Und die Erklärung für die Tatsache, dass der Toilettendeckel nicht geschlossen war. Und womöglich auch die Erklärung für den Fakt, dass der Warden bei der Zimmerschau den Badlüfter sofort wieder abschaltete: Er tropfte, der Badlüfter. Ganz langsam, ungefähr alle 15 Sekunden ein Tropfen, genau in die Kloschüssel hinein. Na super, da werden also die Geschäfte mit einer gleichzeitigen Minidusche erledigt. Vielleicht ist das die neue Art von Hygiene-Förderung.

Die Küche wirkte auf den ersten Blick ganz gut. Aufgeräumt, zwei Herde mit Backröhre, eine Mikrowelle, zwei Kühlschränke, zwei große Gefrierschränke – wozu das denn? Für nur fünf Leute? Die meisten Schränke waren leer, was wohl daran lag, dass sie niemand putzen wollte. Dachte ich zunächst. Eigentlich wollte ich noch kurz schauen, was in den Schränken über den Herdplatten war. Machte ich aber nicht, denn die Optik des Schranktürgriffs passte irgendwie nicht zur Haptik. Zum Glück reagiert das Hirn bei solchen kognitiven Diskrepanzen instinktiv mit Zurückzucken. Die klebrigen, superfettigen, garantiert seit der Eröffnung ungeputzten Griffe berühre ich jedenfalls nie wieder! Aber wie ist das mit den Vorsätzen für’s neue Jahr…?

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