A room with…a view

Date January 4, 2005 | Map

Wohnungssuche – eins der spannendsten Kapitel einer Auswanderung. Wo verbringt man sein weiteres Leben? Findet sich eine private Sphäre, die Zufluchtsort, Ruhepol und Selbstverständlichkeit sein kann? Sein soll? Reicht es aus, um in der Fremde heimisch zu werden? Fragen, die gerade in London eine gewisse Berechtigung haben, hört man doch allerhand vom entweder katastrophal teuren oder hemmungslos herunter gekommenen Wohnungsmarkt.

Wie heißt es so schön? Es gibt in London entweder teure Bruchbuden oder teure Löcher. Suchte man nicht den privaten Zufluchtsort, könnte die Wohnungssuche durchaus ein eigenunterhaltendes Abenteuer, ein Freizeitvergnügen in die Abgründe moderner Zivilisation sein. Aber es geht leider um die nackte Tatsache, dem hartnäckig durchweichenden Nieselregen ein möglichst gemütliches Schnippchen zu schlagen und wintrig-bitterkalten Themsebrückennächten wenigstens vier trockene Wände abzutrotzen.

Umso idiotischer, einfach so, ohne Sichtprüfung, auf christliche Nächstenliebe vertrauend, eine Wohnung aus der Ferne zu nehmen. Wie war das mit dem eigenunterhaltenden Abenteuer…? Okay, mein Risiko war begrenzt: Ein Zimmer im Studentenwohnheim, angeblich Baujahr 2001, mit angeschlossenem Altersheim, geführt von einem zumindest auf dem Papier christlichen Unternehmen. Auch wenn die Preise die Vermutung zulassen, hier wurde Gott mit Gold verwechselt. Immerhin: Auf der Habenseite steht ein eigenes, privates Duschklo (in London freut man sich über die kleinen Dinge), auf der Sollseite der Standort Mile End: East End pur mit wohlfährtiger Sozialbauromantik.

Aber bevor ich davon auch nur einen Millimeter zu Gesicht bekam, hatte ich ausreichend Gelegenheit, meine zwiespältige Vorfreude auszukosten. Der Vorteil, die Wohnung aus der Ferne zu mieten ist, sich die Wohnungssuche vor Ort weit gehend zu ersparen. Mitsamt der ansonsten anlaufenden Hotelkosten. Naja, theoretisch. Praktisch hingegen war ich am 4.1. in London, konnte aber erst am 6.1. in mein Bangladeshi-Idyll einziehen. Aber bei mehrfachen Kurzzeit-Aufenthalten lernt man, erschwingliche Übernachtungsmöglichkeiten zu lokalisieren. In diesem Fall ein zentrales Studentenwohnheim.

Warum hat innerhalb der gesamten Rezeptionscrew eigentlich prinzipiell nur ein einziger Mensch wirklich Ahnung? Der Morgendiener ließ mich kompetent mein Gepäck unterstellen und fand auch heraus, dass ich angemeldet war. Der Nachmittagsjunge musste erst einmal selbst mein Zimmer im Gebäude suchen…immerhin war er damit etwas schneller als ich und dabei auch noch freundlich. Aber das kann man in London nun wirklich erwarten. Freundlich sein, meine ich. Inkompetenz allerdings auch.

Von Außen war meine temporäre Bleibe, nun ja, so desolat, wie ich mein übermorgiges Dauer-Domizil erwartete, Innen aber wurde ich tatsächlich überrascht: positiv! Schade, dass ich hier in zwei Tagen wieder raus muss, oder? Also, dachte ich: Wenn mein Zimmer genauso groß ist, würde ich sofort freudetanzend in den viktorianischen Ensemble-Halbkreis der Cartwright Gardens meine Begeisterung hinaus brüllen so laut ich kann! Nebenbei qualifizierte ich mich damit gleich als anpassender Einwanderer, der wie die echten Engländer seine Macken auslebt. Wenn das Bad dann auch noch so geräumig und vor allem so sauber(!) ist, werde ich mich täglich mehrmals duschen, bis die Haut abpellt und noch länger!

Und wenn ich neun Monate eine ähnliche Aussicht habe, bringe ich mich sofort um! Auf der Stelle! Aber das wird gar nicht nötig werden, weil die Matratze mir zuvor spontan zu einem Krankenhausaufenthalt dank Querschnittslähmung verhelfen wird, oder die Einfachverglasung mit offen bleibenden Fenstern rafft mich über den Umweg einer Lungenentzündung dahin, sobald es draußen anzieht…

Die Aussicht ist echt der Hit – typisch London: Basement, Blick auf eine Nottreppe nach oben, wo vier Quadratzentimeter Himmel durchscheinen, der zu dieser Jahreszeit noch nicht einmal blau ist, und direkt vor den Fenstern wunderschöne engmaschige Metallkäfige mit Diagonalverstrebungen. Im Knast würde man sowas Psycho-Folter nennen. Aber hier eröffnet sich die Seele der Engländer: Oberflächlich gesehen ist alles ganz gut, im Detail dann biegt sich mindestens ein Zehennagel in Richtung des unsichtbaren Himmels. Wie finden Zehennägel nur ihre Richtung?

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