Dorkfest 2006

Date March 18, 2006 | Map

Dork heißt Trottel oder Depp. Demensprechend handelt es sich beim Dorkfest um ein Festival der Trottels und Deppen. In diesem Fall sind es allerdings eher Fachidioten, denn das Dorkfest als Event ist ein komplettes Wochenende Dorkbot. Das Motto der Dorkbots ist: Doing strange things with electricity. Es treffen sich also Leute, die wilde Dinge mit Elektrizität im weitesten Sinne anstellen, von digitalem Code bis zu lebensgefährlichem Starkstrom. Und von kurios bis absolut lustig – einmalige Unterhaltung!

[thumb:696:l]Als erweiterte Dorkbot läuft das Dorkfest in der Limehouse Town Hall im Rahmen des node.l-Medienfestivals, und ich fand, das müsste doch eine schöne Samstagabend-Unterhaltung sein. Wie recht ich doch hatte, und was für unerwartete Überraschungen ich doch erleben durfte…

Die Limehose Town Hall selbst hat schon einige Jahre auf dem Buckel: 1879 gegründet und seit etlichen Jahren augenscheinlich nicht so recht renoviert dient sie heute einigen Künstlergruppen als Heimstätte. Im großen Saal fand das Dorkfest statt, und die doch ziemlich rustikale, leicht heruntergekommene Atmosphäre trug wesentlich zur Stimmung bei – allerdings war es schweinekalt, dafür gab es eine kleine Bar mit Getränken fast zum Selbstkostenpreis. Super!

Für den Abend gab es etliche Programmpunkte:

  • Dr Voltage – Dorkbot Classics
  • James Larsson – My crazy inventions past and present
  • Yoshi Imamura – Electric love is in the air
  • Javier Candeira – Free Software Art
  • Steve C – top secret opendork
  • Mileece – Philedendron Experimentation
  • Alex McLean and Dave Griffith – Live Coded A/V
  • Anab Jain – Less Words, More Visuals
  • Chun and Oli – Pure Data coded instruments and visuals

Ein Abend voller Höhepunkte. Während die computerorientierten Vorführungen (Javier Candeira, Fluxus, Anab Jain, Goto10) mehr interessant als unterhaltsam waren (in anderthalb Fällen zu sehr an ein einfaches DJ-Set elektronischer Unterhaltungsmusik erinnernd – gähn), waren die mehr “fassbaren” Präsentationen deutlich unterhaltender.

So zum Beispiel Yoshi, der Rentner, der mit seinem blinkenden, szenigen Bauarbeiter-Outfit auch in seinem Alter kein Problem hat, ins Ministry of Sound zu kommen. Er hat einen maschinellen Amor erbaut, der die Impotenz der Statue am Piccadilly Circus (der Amor dort hat kein Pfeil im Bogen) überkompensieren soll. Der künstliche Torso hat einen überdimensionalen Pfeil, der automatisch im Bogen gespannt wird und beim Abfeuern ein Verhüterli aufbläst. Damit hatte der verrückte Japaner die Lacher auf seiner Seite.

Bei Mileece hingegen musste man sich fragen, ob ihre Verrücktheit nur gespielt, noch im Rahmen oder tatsächlich schon ins Pathologische ging: Die Frau kommuniziert mit ihren Pflanzen. Das machen zwar auch andere, aber Mileeces Grünzeug antwortet, und zwar spontan. Das erreicht Mileece, indem sie Sensoren an den Blättern befestigt, die in MIDI-Daten umgewandelt werden und so Klangparameter steuern. So macht Mileece das pflanzliche Leben hörbar, und auch wenn die Klänge eindeutig elektronisch sind, so erinnern sie ein wenig an melancholischen Walgesang.

Dass nun ein heftiges Reiben an den Blättern sowie Bewässerung oder unterschiedliche Beleuchtung der Pflanze die musikalische Struktur ändern, ist durchaus nachvollziehbar. Mileece aber erzählte, dass die Musik heftiger wurde, als ihr Freund vor den, äh, Augen der Pflanze begann, Mileece zu umarmen…Mileece war sich sicher, dass die Pflanze eifersüchtig reagierte. Und ich war mir wirklich nicht sicher, ob das als Scherz gemeint war.

Einer der beiden Top-Höhepunkte war Dr Voltage: Was der Mann mit Hochspannung anstellt, ist sehr vergnüglich. Wir zerstörten Coladosen, Gitarrensaiten, verformten CDs und lauschten dem röhrigen Spark-O-Phone, ein im wahrsten Sinne des Wortes hoch spannendes Musikinstrument. Super, wie Dr Voltage souverän die wirklich gefährlichen Experimente Dank Live-High-Speed-Kamera mit eintausend Bildern pro Sekunde sehr unterhaltsam und lehrreich demonstrierte, viel, viel besser als Knoff Hoff. Ein paar seiner Experimente kann man im Internet sehen, z.B. auf YouTube.

Den mit Abstand höchsten Unterhaltungswert hatte aber der Enddreißiger James “Mad Scientist” Larsson. Als Recycler höchster Güte durchforstet er Mülltonnen auf der Suche nach Weggeworfenem, aus dem sich noch etwas machen lässt. So z.B. ein einfaches Oszilloskop aus einem alten Fernseher. Schwierigkeiten, sich auf dem Stuhl zu halten, hatte man allerdings bei seinem Timer, der auf einem Marks & Spencer Prawn Mayonnaise Sandwich beruht: Professionell “disassembled” wurden Brot, Krabbe und Mayonnaise mit Sensoren versehen, und durch zunehmende Vertrocknung änderte sich der elektrische Widerstand, was als Zeitmessparameter genutzt wurde, fachmännisch dokumentiert mit Hinweis auf die besonderen Krabbeneigenschaften, Haltbarkeitsdaten und Frische der Ware. Auch der International Herald Tribune berichtete über das Projekt.

Endgültig vom Stuhl flogen die Gäste bei der Präsentation des biometrischen Bestecks, über das sogar Nature berichtete (kompletter Text auf BioEdOnline). Als verrückter Erfinder hat es James natürlich bei Frauen nicht so leicht, außerdem kann er ganz schwer die eventuellen Signale entziffern. Also baute er Sensoren ins Besteck ein, um beim Dinner über den Grad der Romantik (gemessen über Hautwiderstand) in Echtzeit informiert zu werden. Da er keine Frau zum Dinner überreden konnte, testete er seine Erfindung beim Lunch…mit seiner Mutter! In einem Video konnten wir dann die aufgezeichnete Romantikkurve beobachten. Und auch wenn der Test recht positiv verlief – was genau das auch heißen soll – äußerte James die Sorge, dass die Kabel am Besteck im Ernstfall seinem Date doch eventuell auffallen könnten.

Alles in allem eine fantastische Aktion, die man einfach erlebt haben muss. Hoffen wir, dass die Dorkbots in London dauerhaft bleiben.

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