Billig überleben in London

Date February 6, 2005 | Map

Wenn man in London lebt, hört man oft, dies sei die zweitteuerste Stadt der Welt, geschlagen nur noch von Tokio. Wenn man sich die Preise anschaut, glaubt man dies auch. Sofort. Wie um alles in der Welt können sich die Leute mit geringem Einkommen hier überhaupt das Überleben leisten? Und wie viele Großverdiener muss es hier geben, die ganz selbstverständlich diese Preise zahlen, ohne auch nur ansatzweise darüber nachdenken zu brauchen? Als Mensch mit normalem Einkommen muss man hier bereits sparsam leben. Ich habe nur ein halbes Einkommen.

Noch in Deutschland habe ich auf die Frage nach dem Verdienst immer geantwortet, am Ende des Monats blieben mir nach Abzug aller Kosten minus einhundert Pfund übrig. Ich wusste also, dass ich von meinen Ersparnissen würde leben müssen, zumindest das erste Jahr, in dem ich lediglich einen 50-Prozent-Vertrag hatte. Vor Ort sieht die Geschichte plötzlich doch etwas anders aus.

Obwohl ich von der ersten Minute an meine Ausgaben zu drosseln versuchte, gab ich in den ersten Tagen soviel aus, dass auf den Monat hochgerechnet kein Geld mehr für die Miete übrig bliebe. Zugegeben, die ersten Tage sind immer die teuersten, aber auch nach Abzug der Einmal-Ausgaben wie Bettdecke und Besteck schien die Tagessumme im Durchschnitt zu hoch. „Also“, dachte ich, „schauen wir mal, wie man billig durch London kommt“. Ein veritables Hindernis erschwerte die Sache in den ersten Wochen: Ich kam nicht dazu, entweder aus Zeitgründen, aus akuter Unlust oder aus Widerwillen, die angeschlagenen Preise zu bezahlen, mir eine Basis-Kochausstattung zu kaufen. Folglich musste auch fertig zubereitete Ernährung in den Kostenrahmen passen.

Nach dreißig Tagen hatte ich – inklusive der drei teuren Ersttage, allen Einmalausgaben sowie der Transportkosten – meine durchschnittlichen Tagesausgaben auf unter acht Pfund gesenkt! Das reicht zwar nach Abzug von Steuern und Miete immer noch nicht ganz, ist aber immerhin auf erträglichem Niveau. Zieht man Einmalausgaben ab, blieben noch sechs Pfund fünfzig. Und rechnet man auch noch die Transportkosten heraus, überlebte ich von unglaublich wenigen drei Pfund achtundachtzig pro Tag, das sind gerade einmal knapp sechs Euro! Ohne selber zu kochen? Wie geht das denn?

Bei Einmalausgaben ist das Rezept recht einfach: Versuchen, die billigsten Läden auszumachen und zur Not quer durch die Stadt gurken, um zu IKEA zu kommen. Dazu noch auf Angebote achten. Empfehlungen geben lassen. Dann entdeckt man zwangsläufig Läden wie Argos, eine Art Versandhandel vor Ort: Die Läden bestehen aus unzähligen „Arbeitsplätzen“, an denen Kunden das Sortiment ausschließlich per Katalog durchsuchen können. Ob die Ware verfügbar ist, kann man mit den elektronischen Verfügbarkeitsprüfern testen und dann auch gleich bestellen. Irgendwann liegt die Ware dann am Ausgabeschalter bereit. Lustiger Laden.

Die Transportkosten sind ein Thema für sich. Hier erkennt man sofort die in England überall präsente Klassentrennung. Dazu mehr an anderer Stelle.

Was Nahrung anbelangt, gibt es unzählige Möglichkeiten, die Kosten gering zu halten. Mit meinem jetzigen Wissen könnte ich problemlos meine Ausgaben noch stärker drosseln, dann wäre allerdings der Schritt zur würdelosen Kreatur getätigt – zumindest etwas Spaß muss gelegentlich sein, und manchmal macht Essen so unglaublich Spaß! Ein sehr nobler Aspekt, der beim Sparsam-Leben zu Tage gefördert wird.

Zunächst müssen alle Restaurants ignoriert werden. Selbst ein billiges Dinner ist selten für unter sechs Pfund zu haben, und selbst wenn man seine Hauptmahlzeit auf die Mittagszeit setzt, sind Drei- bis Vier-Pfund-Mahlzeiten, die bezüglich des Sättigungsgrads ihren Namen verdienen, schwer zu finden. Besser ist, die allgegenwärtigen Sandwich-Shops und Delis aufzusuchen. Die vor den Augen des Kunden zubereiteten Sandwiches sind zwar auch nicht billig und die abgepackten sind mit teils zweieinhalb bis drei Pfund schlichtweg überteuert, aber dicke, reichhaltige, leckere und dazu noch gesunde, weil zum Großteil aus Gemüse bestehende Suppen bieten für zwei Pfund ein gutes Preis-Leistungs-Verhältnis. Billiger kann man ein heißes Essen fast nicht mehr bekommen.

Da dem sparsam lebenden Menschen eine heiße Mahlzeit am Tage reicht, kann das Abendessen kalt ausfallen. Also: Augen auf an der Kühltheke. Die Sandwich-Läden sowie die Supermärkte bekommen täglich Frischlieferungen von belegten Sandwiches, Wraps und Baguettes – die hier „Torpedos“ heißen. Deren Haltbarkeit ist natürlich begrenzt. Also schmeißen zumindest ein paar Läden die Dinger vor Ladenschluss deutlich reduziert raus. Wenn kein entsprechender kleiner Sandwich-Laden auffindbar ist, ist immer irgendwo ein Tesco-Supermarkt, wo sich zwischen 19 und 20 Uhr die „Reduced-to-Clear“-Regale füllen. Und die Sandwiches sind durchaus lecker! Und das, was häufig dort drauf ist, lässt sich durch selber schmieren im Single-Haushalt nicht ohne überschreiten des Best-Before-Dates hinbekommen.

Apropos Supermarkt: Klar sind die Food Halls, wie z.B. die von Marks & Spencer äußerst attraktiv mit ihren leckeren, für den Rewe-gewohnten Mitteleuropäer geradezu fantastisch anmutenden Angeboten, aber sie sind auch teuer. Selbst die riesige Supermarkt-Kette Sainsbury’s ist für Londoner das, was für Frankfurter HL – jetzt Minimal – ist: Der Supermarkt um die Ecke, aber nicht der billigste. Die billigsten sind Safeway/Morrisons, Budgens (naja, manchmal), tatsächlich auch Aldi und Lidl, vor allem aber Tesco. Der Brotlaib, der mittags noch für 89 Pence verkauft wurde, kann schon ab 19 Uhr nur noch sagenhafte 10 Pence kosten! 15 Euro-Cent für 800 Gramm feinstes englisches, labbriges Toastbrot! Eindecken für’s Frühstück, dafür braucht man ja nicht kochen! Und was Tesco sonst noch um die Zeit raushaut: Äpfel, Birnen, sonstiges Obst und Gemüse, Salate, Muffins, Bagels – und natürlich belegte Sandwiches. Leider kann man nicht fest damit planen, denn die Rabatte richten sich nach dem Haltbarkeitsdatum, daher ist nicht jeder Tag ein Schnäppchen-Tag. Und mit ein bisschen Pech waren andere Schnäppchenjäger schneller.

Der wahre Geizhals besorgt sich noch die Kundenkarte, die entweder ab einer gewissen Punktzahl einen netten Bonus beschert oder die als Prepay-Karte einen höheren Nennwert hat als das Geld, das man dafür bezahlt hat. Oder man lässt sich einen monatlichen Betrag direkt vom Konto abbuchen. So bekommt man die ohnehin schon recht preiswerten Sandwiches der Benji’s-Kette (Update: Gibt’s nicht mehr) noch preiswerter. Und auch so mancher Benji’s schmeißt die Brote kurz vor Schluss zum Billig-Preis raus…

Schämen braucht man sich als Billig-Käufer nicht. Dann würde sich halb London schämen. In der Tat scheint der Einkauf frisch reduzierter Ware hier eine Art Sport zu sein. Eines Sonntags etwa eine Stunde vor Ladenschluss im Tesco-Superstore bildete sich zum Beispiel eine riesige Menschentraube um das Frischbrot-Regal: Gerade war der Reduzier-Mitarbeiter mit seiner Preisschild-Klebemaschine aufgetaucht! Er packte Croissants, Schokobrötchen und ähnliches zu Sechser-Beuteln zusammen, und sobald das Preisetikett auf der Tüte klebte, war ihm selbige auch sofort entrissen. Hatte schon was von Raubtier-Fütterung. Das die sich nicht schämen…

Ansonsten heißt der Spartipp: Verzicht. Man muss ja nicht jedes Wochenende in den Pub…und selbst wenn, dann sollte der Ort anhand der Pint-Preise gewählt werden. Es macht schon einen Unterschied, ob das Ale für eins achtzig oder zwo neunzig über den Tresen geht! Das warme Abendessen, wenn es nicht unbedingt stilvoll sein muss, kann man als Luxusevent dann im ICCo zelebrieren, wo die Vierzehn-Zoll-Pizza „English Breakfast“ nur drei Pfund fünfzig kostet und sehr lecker schmeckt, wenn man das englische Frühstück auf einem knusprigen, dünnen Teigfladen mag. Aber sie haben ja auch andere Pizzen. Und wenn nichts mehr hilft, dann auf nach Camden, wo am Wochenende ab ca. 18:30 Uhr die asiatischen Schälchen für nur ein einziges Pfund herausgehauen werden…

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2 comments to “Billig überleben in London”

  1. Emma schreibt:

    Danke für die Infos! Ich flieg bald ne Woche mit der Schule nach London und kann mich nicht gerade reich nennen. Vor allem die Essenstipps helfen m ir sehr!

  2. Bernd schreibt:

    sehr interessanter Artikel, danke.

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